Anjes Tjarks beim Wirtschaftsverein. Foto: André Zand-Vakili
Heimfeld – Gut vorbereitet war er, Hamburgs Verkehrssenator Dr. Anjes Tjarks. Schon am frühen Nachmittag wurde er im Privathotel Lindtner gesehen, wo er am Abend Gast der Monatsveranstaltung des Wirtschaftsvereins war. Ob Tjarks durch die frühe Anreise der Peinlichkeit entgehen wollte, möglicherweise im Stau stecken zu bleiben, blieb sein Geheimnis.
Auch sonst war der Senator gut vorbereitet. Das von Franziska Wedemann befürchtete „Senatoren-Bashing“ in der Frage-Runde nach seinem Vortrag durch die rund 100 Zuhörer blieb aus. Tjarks hatte nicht nur ausführlich, charmant und mit gefühlter Offenheit, sondern auch erklärend die Punkte abgearbeitet, die, wie das Baustellenchaos und die hohe Staubelastung im Süden der Stadt, für Kritik Anlass gaben. So war schon vor seinem Schlusswort viel Wind aus den Segeln genommen worden.
Allerdings zeigte der Vortrag auch, was auf Hamburg und Harburg zukommt. 35 Prozent des Autoverkehrs sollen wegfallen. Bis 2030 sollen nur noch Elektroautos verkauft werden. In Hamburg sind nahezu alle Brücken, inklusive Bahnbrücken, marode. Zwar habe man einen „Plan“, was die Arbeiten angeht. Die werden aber laut Tjarks nicht durchgeführt werden können, „ohne dass man es merkt“.
Ungeklärt blieben Fragen, wer denn auf das Auto verzichten und wie, vor allem in dichter besiedelten Gebieten wie Eimsbüttel, Mümmelmannsberg oder dem Phoenix-Viertel Menschen ein Elektroauto laden sollen. Dazu setzt Tjarks auf die Bahn, die eigentlich das am wenigsten flexibelste und durch Vernachlässigung das marodeste Verkehrssystem ist, das in Deutschland Menschen und Waren befördert. „Man hat sich hundert Jahre nicht darum gekümmert, effizienter über die Elbe zu kommen. Nämlich mit der Bahn“, sagte Tjarks zur Situation in Hamburg. Absehbare Entlastung soll die etwa 800 Millionen Euro teure Digitalisierung der Bahn bringen, die eine engere Taktung der Züge zulässt.
Für Harburg sei es „entscheidend“, dass die S-Bahn funktioniere. Deswegen sei seine Behörde hinter dem Thema hinterher. Dabei gibt es viel zu tun. Noch nicht einmal eine Finanzierung, es geht um Milliarden, ist aktuell in trockenen Tüchern. Dazu sollen die Bahnhöfe aufgehübscht werden, damit sich die Fahrgäste „willkommen“ fühlen. Paradebeispiel soll der ZOB werden, der nicht nur aufgepeppt, sondern auch für eine Kapazitätserweiterung deutlich vergrößert werden soll, was natürlich an Harburgs größer Kreuzung nebenan zu Einschränkungen führen dürfte.
So soll neben der Freihafenelbbrücke eine neue Bahnbrücke entstehen, die zwei zusätzliche Gleise bietet, die dann durch Wilhelmsburg bis zu ebenfalls maroden Süderelbbrücke führen. Die soll saniert werden und eine der dafür nötigen Umfahrungen, also provisorische Brücken, erhalten bleiben und die Gleise dann weiter bis zum Bahnhof Harburg führen, um diesen „überlasteten Abschnitt“ zu entlasten. Wann das sein wird, ist unklar. Seine Behörde, der Bund und die Bahn sind in der Prüfungsphase.
Beim Radverkehr ist der Senator ungebremst optimistisch. Er sieht die Strecke von Harburg in die Hamburger City, als „Durchschnittsstrecke“ und glaubt, dass Menschen bei einem besseren Sicherheitsgefühl und auch bei nicht so gutem Wetter auf das Rad umsteigen, was mancher Zuhörer schon angesichts des oft wenig regelkonformen Verhaltens von Radfahrern im Verkehr als eine gewagte These sehen könnten.
Als „Schmankerl“ hatte Tjarks „Vayo“ im Gepäck. Das ist ein Berliner Start-Up, dass Autos aus der Speicherstadt wie von einem Drohnenpilot gesteuert zum Kunden bringen will, der dann vor der Tür das Steuer übernimmt und am Zielort den Wagen einfach ohne Parkplatzsuche verlässt, damit wieder der Fahrer in der Speicherstadt die Fernsteuerung übernimmt. Das soll das Carsharing auch in den von den bisherigen Anbietern wegen der Unattraktivität verschmähten Randlagen Hamburgs möglich machen und weniger als ein Taxi kosten.
Es waren „anstrengende Erkenntnisse“, wie der Senator selbst sagte, die er an dem Abend den Zuhörern gekonnt charmant serviert hatte, um sie dann nach dem Vortrag beim „Get-Together“ noch einmal ohne Zeitdruck zu vertiefen. Es war aber auch in einem Punkt ein „leichtes“ Publikum, das Tjarks an diesem Abend vor sich hatte. Die allermeisten der Gäste dürften sich die Kosten für die Pläne zumindest leisten können. zv