Forderungen an die Bundesregierung

Es war die lokale „Elefantenrunde“, zu der der Wirtschaftsverein kurz vor der Bundestagswahl die Hamburger Direktkandidaten aller Parteien in das Privathotel Lindtner geladen hatte. Zwei Stunden fühlten Franziska Wedemann, Vorsitzende des Wirtschaftsvereins, und ihr Vertreter Arnold G. Mergell den Kandidaten Metin Hakverdi (SPD), Uwe Schneider (CDU), Manuel Sarrazin (Grüne), Sonja Jacobsen (FDP), und Stephan Jersch (DIE LINKE) „auf den Zahn“. Die AfD war nicht erschienen.
„Wir haben das Format gewählt, damit unsere Mitglieder einen persönlichen Eindruck der Kandidaten und ihrer Ziele bekommen“, sagt Franziska Wedemann. „Damit möglichst viele Mitglieder partizipieren können, haben wir es einerseits als Präsenzveranstaltung im großen Saal durchgeführt, gleichzeitig aber auch als Live-Stream bereit gestellt. Der Schwerpunkt lag selbstverständlich beim Thema Wirtschaft.“
„Gleichzeitig war die Veranstaltung eine gute Gelegenheit der Politik zu vermitteln, was die Bedürfnisse unserer Mitglieder sind, die den Mittelstand der Region repräsentieren, und was ihre konkreten Erwartungen an die Politik in der kommenden Legislaturperiode sind“, so Arnold G. Mergell.
Im Vorfeld der Veranstaltung waren Mitglieder befragt worden, welche Themen für sie hohe Relevanz haben. Ihre Anregungen und Forderungen flossen in die Veranstaltung ein.
Udo Stein, Vorstandsmitglied: „Wir brauchen eine europaweite und sinnvolle Energiepolitik unter Beachtung eigener Ressourcen wie Gasvorkommen im Mittelmeer und Kernkraft. Die Verkehrspolitik muss auf die Belange der Wirtschaft und die Wünsche der Bevölkerung achten und nicht nur auf Einzelinteressen.“
Sonja Hausmann, Beiratsvorsitzende im Wirtschaftsverein: „Die Wirtschaftspolitik muss sich an die disruptiven, digitalen Zeiten anpassen. Entscheidungsprozesse müssen schneller werden. Der Angang von Themen darf nicht an Wahlperioden oder Parteiprogrammen hängen. Mitarbeiter werden immer älter, Nachwuchskräfte sind schwer zu finden. Es braucht flexiblere Werkzeuge, um ältere Mitarbeiter weiter beschäftigen zu können, ohne dass gleich die Rente gekürzt wird.“
Fördermittel und entsprechende Richtlinien müssten praxisnah und zielgerichtet ausgestalten werden. Regulierungen dürften nur mit Augenmaß und weniger Bürokratie durchgesetzt werden.
Regional beschäftigt mich die Infrastruktur, insbesondere der Straßenverkehr im Süden Hamburgs. Hier sind eine sinnvolle Koordination von Baumaßnahmen, Vermeidung von Staus, die Koordination mit angrenzenden Bundesländern, und eine gute und verlässliche Zeitplanung für Neubauprojekte, insbesondere die A26, wichtig. Nicht zuletzt muss die Förderung von interessanten gewerblichen Neuansiedlungen fokussiert werden.“
Martin Mahn, Vorstandsmitglied: „Mir ist die Reform des Bildungssystems und die auskömmliche Finanzierung der Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen wichtig. Die Art und Weise, wie wir Bildung vermitteln, muss in Richtung Geschwindigkeit, Durchlässigkeit und Flexibilität reformiert werden. Investitionen in unser Bildungssystem sind Investitionen in die Zukunft – das muss noch viel massiver erfolgen. Nicht nur die Pandemie hat gezeigt, dass wir auf neues Wissen angewiesen sind, nein, ohne neues Wissen und entsprechende Ausbildung auch keine Innovationen, keine neuen Talente und Fachkräfte und somit auch keine nachhaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung.“
Weitere wichtige Punkte sind für ihn die Deregulierung und Wagnismotivation.
Mahn: „Ohne ein vereinfachtes Regelwerk und mehr Aufforderung, neue Dinge auszuprobieren und zu wagen, bekommen wir das neue Wissen nicht in die Anwendung, weil wir uns selbst Barrieren bauen und viel zu langsam und umständlich sind.“
Darüber hinaus müsse die flächendeckende digitale Infrastruktur ausgebaut werden. „Breitband-Technologie ist die Autobahn der Zukunft“, so Mahn. „Wir sind europäisch und weltweit schon hoffnungslos hinten dran und können nur noch nachholen, aber damit müssen wir wenigstens sofort anfangen. Die meisten erfolgreichen Gesellschafts- und Geschäftsmodelle sind schon heute digital.“
Christoph Birkel, Beiratsmitglied: „Es steht an zu klären, wie sichergestellt wird, dass eine zusätzliche westliche Elbquerung für Personen- und Güterverkehr auf der Schiene im Verkehrswegeplan berücksichtigt wird. Besonders im Hinblick auf den anstehenden Umbau des Bahnhofs Altona sollte das mit bedacht werden.“
Franziska Wedemann machte deutlich, dass die Umsetzung der Klimapolitik in den kommenden Jahren von existenzieller Bedeutung für den Mittelstand, der im Süden Hamburgs auch stark industriell geprägt ist, sein wird. „Ich erwarte hier einen verantwortungsvollen Umgang der Politik mit der Macht. Die Energieversorgung muss in der Zukunft unter allen Umständen gewährleistet sein. Das betrifft die Verfügbarkeit, aber auch die Bezahlbarkeit. Bislang liegt mir der Fokus der Politik zu sehr auf Konzernen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Dabei ist der Mittelstand das Rückgrat unserer Wirtschaft. Alle Klimamaßnahmen, die eingeführt werden, muss daher der Mittelstand auch tragen können.“